Aquinata Böckmann OSB

Misericordia - Ihre Bedeutung in der Regel Benedikts und für uns

Wenn Benedikt von der misericordia spricht, dann kommen ihm zunächst Schriftworte in den Sinn, wie: „in Ewigkeit währt sein Erbarmen“ (RB 7,46) oder: „wir haben, o Gott, Dein Erbarmen empfangen inmitten Deines Tempels“ (RB 53,14). Der Abt „ziehe die misericordia dem Gericht vor“ (RB 64,10). Der lateinische Ausdruck enthält die Worte: miser (elend) und cor (das Herz). Man könnte zunächst übersetzen: ein Herz für die Elenden haben. Diese Haltung richtet sich auf die Schwachen als solche, ungeachtet ihrer Tugenden oder Verdienste. Gregor der Große entfaltet den Wortinhalt weiter: so sehr ein Herz für die Elenden haben, dass das eigene Herz sozusagen elend wird, sich elend fühlt. Es genügt nicht, sich von oben herab zu den Elenden zu neigen, sondern die „Elendigkeit“ der andern soll ein Echo finden im eigenen Herzen. Das lässt sich gewiss von Gottes Barmherzigkeit sagen, aber auch von der des Menschen. Insofern ist das Wort verwandt mit compassio. Benedikt legt den Mönchen und vor allem dem Abt die misericordia ans Herz gegenüber Schwächeren, Älteren und Jüngeren; diese Grundhaltung soll die ganze Gemeinschaft prägen (RB 34,4; 37,1; 64,9f.).

Aus Erbe und Auftrag 1/19, Seite 89-91

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