Gabriele Wulz

„Nennt mich nicht mehr Noomi (Liebliche), sondern Mara (Bittere)!“ (Rut 1, 20)

Eine Liebesgeschichte werde im Buch Ruth erzählt, eine bäuerliche Idylle, die die Witwentreue preise, so heißt es immer wieder. Ganz falsch, sagen andere. Dieses Buch will erklären, warum David, der große König Judas und Israels, eine moabitische Urgroßmutter hatte. Das Buch Ruth wäre nach dieser Lesart also nichts anderes als der Versuch mit Hilfe einer rührenden Geschichte alle Kritik an der etwas zweifelhaften Abstammung Davids zum Schweigen bringen. Viel zu kurz gegriffen, wird dieser Deutung entgegengehalten. In einer Zeit, in der Esra und Nehemia die Trennung von allen fremden Frauen forderten, um in der Zeit nach dem Exil, also im 5. vorchristlichen Jahrhundert, die Identität der Gottesgemeinde nicht zu gefährden, kritisiert das Buch Ruth solche Programme und bietet einen dezidierten Gegenentwurf zur Reform des Esras und Nehemias und das Plädoyer für eine „offene Gesellschaft“ und Toleranz und Integration. Was nun ist richtig?

Aus Erbe und Auftrag 1/12, Seite 50-53

« zurück